Donnerstag, 10. November 2011

Erinnerung

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9. November 2009

Tief bewegt verfolgt Herr Maffrodit am Abend die farbenfrohen Wetten-daß...?-Bilder der großen Feier anlässlich des 20. Jahrestages der Mauerverschiebung im Fernsehen. Verantwortliche und Nutznießer parlieren, Thomas Gottschalk moderiert, Jon Bon Jovi trällert, Mauerblöcke purzeln um und Schirmherren halten Schirme. Große Worte und große Gefühle, die, denkt Herr Maffrodit, dem Bewusstsein der Deutschen gerecht werden, selbst Schuld gewesen zu sein an dem Mauerschlamassel. Die Kanzlerin grüßt ihre Parteifreunde, was vor allem die Dame Clinton und die Herren Gorbatschow, Walesa und Sarkozy hoch amüsiert, sie beschwört die Freiheit, die es ihrer Familie ermöglichte, in den wärmenden Schoß der DDR flüchten zu können (1954) und gibt – erstmals an diesem Abend auf den historisch bedeutsamen 9. November zu sprechen kommend – ihrer Erleichterung Ausdruck, dass die Berliner sich an jenem Tag des Jahres 1989 die Freiheit nahmen, mit ihren brennenden Kerzen ausnahmsweise mal nicht in die Häuser zu rennen und diese anzuzünden (wie am 9. November 1938). Dann erinnert sie an den 9. November 1799 (Niederlage der Französischen Revolution, von der wir unsere Werte hätten, dann an den 9. November 1848 (Niederlage der deutschen bürgerlichen Revolution, die einen Teil dieser Werte habe verwirklichen wollen) und den 9. November 1918 (Niederlage der deutschen sozialistischen Revolution, die sich den anderen Teil dieser Werte auf ihre roten Fahnen geschrieben habe). Sie sagt, dass es jetzt, wo sich gezeigt habe, dass der Kantersieg des westlichen Kapitalismus ein Scheinsieg war, darauf ankomme, endlich die liberalen, den ewigen Frieden durch freien Handel (Immanuel Kant) zum Ziel habenden, und die sozialistischen, die friedliche und freie Assoziation der Produzenten (Karl Marx) anstrebenden Werte zusammenzubringen, weil sie zusammengehörten. Gänzlich gerührt ist Herr Maffrodit, als sie auch noch mahnt, die Mauer, welche bekanntlich nicht geöffnet, sondern lediglich verschoben wurde nach Osten und Süden, auch für Neger, Fidschis und Latinos zu öffnen, damit auch die endlich reisen und die Wunder der Freiheit genießen können ohne Angst haben zu müssen, kurz vor Lampedusa im Meer zu ersaufen, in ukrainische Menschenhändlerfänge zu geraten oder an der Grenze zu Arizona erschossen zu werden. In einer bewegenden Schweigeminute wird den Zehntausenden Mauertoten seit 1990 gedacht.

Erfreulich findet Herr Maffrodit vor allem, dass sich nicht, wie befürchtet, die ganzen neurotischen SED-, Ost-CDU-, West-CDU und Dissidentenverschwörer für ihren Anteil an der Mauerverschiebung im Fernsehen feiern lassen dürfen (weder Schabowski, noch Krenz, Modrow, Kohl, de Maiziere, Köhler,  Biermann oder Lengsfeld sind zu sehen), sondern die vielen beherzten Menschen, die damals für Anstand und Vernunft auf die Straße gingen und nach dem 9. November auf heillose Weise vom Bananenpöbel überschrieen wurden. So wird, denkt Herr Maffrodit, ganz entschieden dem Eindruck entgegengetreten, dass es besser sei fürs Volk, sich von einer korrupten Bande regieren zu lassen, als selbst die Zügel in die Hand zu nehmen. Krönender Abschluss der Veranstaltung im immer noch strömenden Regen sind die großen Worte der Kanzlerin, dass vor genau 20 Jahren der Kalte Krieg endete und der Heiße Frieden begann.

Plötzlich erwacht Herr Maffrodit; er schaut genauer hin, sieht purzenlde Dominosteine und gerät ins Grübeln. Er weiß nämlich, dass, wer es nötig hat, salutierende Jungpioniere (7. Oktober 1989) oder kreischende Hauptschüler (9. November 2009) zu ordern, um eine Feier noch pompöser wirken zu lassen, das nicht ohne Grund tut...

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