Mittwoch, 29. Dezember 2010

Paranoia.

Letztens dachte ich über die kommende Ökodiktatur nach. Das passiert mir immer, wenn einer sagt, er kaufe nur Bio, und ich ihn dann frage, warum nicht alle so schlau seien wie er und Bio kauften, und er dann sagt, Bio für alle ginge ja gar nicht weil die Ressourcen beschränkt seien. Ich dachte also nach und sah plötzlich ein Bild. Auf dem Bild war ein adretter, frisch gescheitelter Offizier zu sehen – und sein Schäferhund hieß Arko oder Hasso –, wie er in seinem gepflegten Vorgärtchen Brechbohnen, Zuckererbsen und Karotten erntete, die zuvor nach allen Regeln der demeterdynamischen Weledawaldorfwunderkunst angebaut wurden, und wenn er sich umdrehte, sah er, wie die Schlote der Krematorienöfen rauchten, wo gerade diejenigen verbrannt wurden, für die die Ressourcen nicht gereicht haben.

So verrückt machen mich die Grünen.

Montag, 6. Dezember 2010

Schwarze Sklaven.

Angola litt beinahe 500 Jahre lang unter portugiesischer Kolonialherrschaft. 1975, als sich das Land endlich befreit hatte, war es verarmt. Das Land war so arm, dass in der viel reicheren, nichtsdestotrotz aber gleichfalls armen DDR ein Wortspiel kursierte, welches man sich in breitem Sächsisch weiterzuerzählen pflegte: „An Gola gönnd ich mich dodsaufen“. Gemeint war, dass es in der DDR an ordentlicher Brause und in Angola an ordentlichen Lebensgrundlagen mangelte. Heute ersöffe Angola in Öl, könnte es Öl saufen. Da dem nicht so ist und das Öl auch nicht den Angolanern gehört, ist die Landeshauptstadt Luanda zurzeit die teuerste Stadt der Welt und Angola immer noch bitterbettelarm.

Weiße Sklaven oder Die Erfindung des Terrorismus.

Im Jahre 1729 veröffentlichte der Schriftsteller Jonathan Swift eine Satire, die ihn noch berühmter machen sollte, als er es schon war. Sie trug den genau so langen wie provozierenden Titel A Modest Proposal: For Preventing the Children of Poor People in Ireland from Being a Burden to Their Parents or Country, and for Making Them Beneficial to the Public. In einer Sprache kühlster wissenschaftlicher Präzision forderte Swift schier Unglaubliches: Eat the poor! In seiner Schrift wies er anschaulich den ökonomischen Nutzen nach, die Kinder der Armen ins Schlachthaus zu schicken. „Gesotten, gebraten, gebacken, gekocht“ könnten sie zum köstlichsten Nahrungsmittel werden, ihre Haut zudem zur Herstellung feiner Damenhandschuhe dienen. Indem er sie spiegelte, legte er die Heuchelei Englands bloß und traf die Engländer an einem empfindlichen Nerv: Kein Mensch lässt sich gern als Kannibale empfehlen. Mit seiner gleichfalls rhetorischen wie unerträglichen Frage: Warum sollten die Engländer nicht auch die Kinder Irlands verschlingen, wenn sie schon das Land verschlungen hatten? provozierte er jedoch nicht nur die britischen Besetzer und Besitzer Irlands, sondern auch ein Nachdenken über die Ursachen der Überbevölkerung, der Armut und der Kriminalität in Englands Kolonie. Liest man diesen Text, versteht man, dass die Iren europäische Neger waren. Man versteht auch, warum das Erbe der englischen Kolonialzeit so nachwirkt, wie es heute nachwirkt.

Der ehrenhafte Swift, der die Verrücktheit Englands anprangerte, wurde von den Iren zum Ehrenbürger Dublins gekürt und von den Engländern für verrückt erklärt. Letztere steckten ihn ins Dubliner Irrenhaus, das er selbst mitfinanziert hatte.

Montag, 29. November 2010

„Wuu-hu“ oder Gedanken aus aktuellem Anlass.

Das Unbehagen der Deutschen, die Serben betreffend, ist genau so alt wie es irrational ist. Es äußerte sich im Ersten Weltkrieg in dem Schlachtruf „Serbien muss sterbien!“ und im Zweiten Weltkrieg in dem gescheiterten Versuch, diesen Ruf in die Tat umzusetzen. Was sie zweimal vergeblich versuchten, ist den Deutschen, kurz nach dem Ende des Dritten Weltkriegs, der auch Kalter Krieg genannt wurde, endlich geglückt. Es handelte sich bei dem, was damals passierte, um nichts anderes als um eine späte Rache (eine Rache für was eigentlich?)

Sie begann, als die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1991 ohne Not das mit sezessionistischen Bestrebungen leibäugelnde Kroatien völkerrechtlich anerkannte, ein Land, das es zuvor ganze vier Jahre lang gegeben hatte, zwischen 1941 und 1945, geführt von der faschistischen Ustascha-Bewegung. Kroatien, kann man sagen, war eine Idee Adolf Hitlers. Diese Anerkennung, die nicht unmaßgeblich von den zum großen Teil der heute in Bolivien lebenden Nachfahren der Ustaschi betrieben wurde, löste den Jugoslawienkrieg aus. Das Den Haager UNO-Tribunal für Ex-Jugoslawien sucht bis heute viele dieser Nachfahren wegen Verbrechen, die sie zwischen 1992 und 2000 auf dem Balkan begangen haben.

Nachdem Slobodan Milošević eine euphemistisch „Friedensangebot“ genannte Erpressung abgelehnt hatte, welche, so Rudolf Augstein, Bedingungen gestellt habe, „die kein Serbe mit Schulbildung hätte unterschreiben können“, beteiligte sich die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1999 konsequenterweise am NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Die in Washington ansässige Werbefirma Ruder Finn war zuvor von kroatischen Nationalisten beauftragt worden, zum Einen Milošević als Diktator erscheinen zu lassen, als „serbischen Hitler“, der vorhabe, den, wie es Peter Handke naturgemäß kopf- und haupthaarschüttelnd nannte, „Gewalttraum“ eines großserbischen Reichs zu verwirklichen, und zum Anderen handfeste Kriegsgrundfakten zu präsentieren.

Wie wir seit einiger Zeit wissen, waren all diese Fakten keine Fakten, sondern Lügenmärchen. Es gab keine Konzentrationslager in Fußballstadien, es gab keine barbarischen Gewaltausbrüche, von denen Verteidigungsminister Rudolf Scharping, mit gefälschten Fotografien herumfuchtelnd, phantasierte, es gab kein neues Auschwitz, von welchem Außenminister Joseph Fischer halluzinierte, und es gab zwar einen „Hufeisenplan“, der die ethnische Säuberung des Kosovo empfahl, dieser wurde allerdings erst nach Beginn des Krieges bekannt; was bis heute nicht bekannt ist, sind sowohl Ursprung als auch Autorenschaft dieser Schrift, deren Titel, wie Noam Chomsky verrät, Potkova hieß, was tatsächlich „Hufeisen“ bedeutet, allerdings nicht auf Serbisch (dort heißt das Wort Potkovica), sondern pikanterweise auf Serbokroatisch (einer Sprache im Übrigen, der man jüngst die ersten beiden Silben nahm).

Im März 2010 wurde im Radio die Geschichte des erfolgreichsten Werbespotsongs aller Zeiten erzählt. Das Stück ist von Blur und heißt Song 2. Ein einziges Mal, hieß es, habe die britische Popband die Genehmigung zur Verwendung ihres Songs nicht erteilt: als das Pentagon seinen neuen B2-Bomber, der in jenem Krieg gegen Jugoslawien zum Einsatz kommen sollte, mit ihm, dem Song, bewerben wollte. Die Geschichte sprach sich herum, und die jungen Serben waren den jungen Briten, auch wenn diese den Abwurf der Bomben standesgemäß nicht verhindern konnten, dankbar auf ihre Weise: Immer, wenn eines der NATO-Bomben­flugzeuge am balkanischen Himmel gesichtet wurde, besangen und bejubelten sie es mit einem langgezogenen Wuu-hu, dem euphorischen Erkennungszeichen des Liedes, welches auch gern in Fußballstadien gespielt wird, wenn die Heimmannschaft ein Tor erzielt hat. (Es soll nicht verschwiegen werden, dass die jungen Serben nicht nur gern singen, sondern auch nicht ganz frei von Rachegelüsten sind. Dies bewiesen sie zuletzt im Frühsommer dieses Jahres. Die Zerstörung sowohl ihrer Heimat als auch des europäischen Traums, welche Peter Handke ein paar Zeilen weiter unten betrauern wird, vergalten sie – auf ihre Art. Die serbische Auswahl gewann bei der letzten Fußballweltmeisterschaft ihr Vorrundenspiel gegen die DFB-Auswahl mit 1:0).

Ebenfalls im März dieses Jahres erzählte der Schriftsteller Landolf Scherzer in einer Fernseh-Talkshow von seinem 500-km-Fußmarsch durch Rumänien und Ex-Jugoslawien. Eines Abends, es regnete stark, habe er bei Zigeunern übernachten wollen trotz seiner Angst, womöglich bestohlen zu werden. Der „Mann des Hauses“, welcher nach altem Brauch über den Verbleib eines Gastes zu verfügen hatte, entschied abschlägig mit der Begründung: „Ihr Deutschen habt vor zehn Jahren Bomben abgeworfen auf mein Land. Bei einem dieser Bombardements ist mein Sohn ums Leben gekommen.“ Scherzer habe darauf, schmutzig und durchnässt, aber wie befreit und um einiges klüger, auf der Straße gestanden.

Nicht wenige deutsche Intellektuelle befürworteten den Jugoslawien-Krieg. Man ließ sie (im Gegensatz zu Scherzer und womöglich, um sie am Klugwerden zu hindern) nicht im Regen stehen. Zwei von ihnen wurden besonders fürstlich prämiert für ihr Engagement: zunächst der kaschubische Schriftsteller und Scharping- und Fischer-Bewunderer Günter Grass, später die banatische Schriftstellerin Herta Müller (welche bekanntlich Literatur schreibt, von der man den Eindruck gewinnt, dass sie, die Autorin, wie auffallend viele Literaturprofessoren und Deutschlehrer auch, mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß steht, und die in ihrer Freizeit Sachen macht, die den Eindruck vermitteln, dass sie sich auch sonst gern auf ausgetrampelten Kriegspfaden bewegt: 1999 war sie Mitunterzeichnerin eines Flugblatts, das nicht nur zur Bombardierung serbischer Städte aufrief, sondern auch Bodentruppen loszuschicken empfahl). Beide Künstler durften als Dank den sehr ordentlich dotierten Nobelpreis für Literatur entgegennehmen. Der Kriegsgegner Peter Handke hingegen, welcher hellsichtig genug war, zu raunen, „indem man Jugoslawien zerstört hat, hat man das wirkliche Europa zerstört“, sah sich durch eine an Rufmord grenzende Medienkampagne gezwungen, den Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf, welcher ihm im Jahr 2006 verliehen worden war, abzulehnen.

Die kurze Geschichte des Vielvölkerstaates auf dem Balkan begann durchaus hoffnungsvoll. Dieser Staat gründete bekanntlich auf der Idee, bis dato noch nirgendwo auf der Welt realisierte Maßgaben (etwa die, Betriebe nicht zentralstaatlich, sondern durch selbstverwaltende Arbeiterräte zu organisieren und so die „freie Assoziation der Produzenten“ und das „Absterben des Staates“ zu gewährleisten) in die Tat umzusetzen. Letztendlich misslang dieser für Europa und die Welt so beispielhafte Versuch.

Heute, am 29. November 2010, jährt sich die Gründung der Bundesrepublik Jugoslawien zum 65. Mal.

Donnerstag, 4. November 2010

Himmel, Hölle und der Papst er selbst.

Die Katholische Kirche erfand, nachdem sie festgestellt hatte, dass das Versprechen des Himmels weniger wirksam war als ihr lieb sein konnte, die Hölle. Mit dieser Drohung begann das Mittelalter und kurze Zeit später, im Jahr 480, wurde der von Anfang an strenge und bald heilige Benediktus geboren. Er gründete in einer Grotte einen später nach ihm benannten Mönchsorden, pflanzte dort Dornbüsche, in welche er sich stürzte, um die Glut seines Verlangens zu kühlen, und befasste sich in der verbleibenden Zeit vornehmlich mit dem naturgemäß wichtigen Problem, wie man auf Erden möglichst glücklich leben und dennoch in den Himmel gelangen könne. Ein gutes Dutzend Säkel später, im Jahr 1928 ungefähr, erblickte der Dichter Peter Hacks das Licht der Welt. Er sollte sich zeitlebens (das zu Ändernde geändert) ganz mit demselben Problem beschäftigen. Er tat gut daran: Im Jahr 2007, Hacks und der heilige Benediktus waren schon vier (jener) und viele Jahre (dieser) tot (gesegnet seien sie beide), bekräftigte Papst Benedikt XVI: „Die Hölle gibt es. Und sie ist ewig.“

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Konsequenz.

Wer sagt, nur der könne einschätzen, was es heiße, satt zu essen zu haben, der auch hungere, dem sollte schleunigst eins in die Fresse gehauen werden mit der satten Rechtfertigung, dass er ja sonst gar nicht wissen könne, wie schön es sei, wenn der Schmerz nachlässt.

Freitag, 15. Oktober 2010

Binsenweisheit des Tages.

Wenn man einmal erkannt hat, dass man an allem, was einem widerfährt, selbst Schuld ist, dann weiß man endlich, dass man alles ändern kann.

Dienstag, 12. Oktober 2010

Stuttgart 21

Die weise Weisheit der Befürworter des Projekts, sie geht so: Es gibt keinen Grund, einen Bahnhof nicht zu bauen, den kein Mensch braucht.

Freitag, 1. Oktober 2010

Was Sie schon immer über die DDR wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten

Die DDR wurde geboren als Antwort auf das erheblich laut fordernde Plärren des Säuglings von nebenan. Manche sagen, sie sei die Nachgeburt der Bundesrepublik, andere meinen, sie besser als Früh- oder Sturzgeburt bezeichnet zu sehen. Jedenfalls geschah das Ganze am 7. Oktober 1949 auf Anordnung der sowjetischen Besatzungsmächtigen. Diese wiesen auch an, dass die DDR ein sozialistisches Land mit einer sozialistischen Einheitspartei zu sein habe.

Da die sowjetischen Besatzer dem kehrtwendigen Rotgewordensein der Ostzonenbevölkerung misstrauten (es widersprach ihrer Erfahrung), beschlossen sie auch, diese beschatten zu lassen durch sich selbst. Das war zwar weder für die Beschatteten noch für die Beschatter schön, aber man darf nicht vergessen, was die Deutschen so getrieben hatten die Jahre zuvor; und eine „Auge-um-Auge,-Zahn-um-Zahn“-Rache hätte durchaus anders ausgesehen. Jedenfalls brauchte es seine Zeit, bis man in Moskau einsah, dass DNS nicht in jedem Fall Deutscher National-Sozialist bedeutet, man also die Geburt vieler neuer Menschen und den Beginn der Zukunft getrost und frohgemut erwarten durfte. Noch war es aber nicht so weit, noch herrschte Skepsis.

Selbst drei Jahre nach Gründung der DDR war das Misstrauen so groß, dass Stalin vorschlug – nachdem das Ostvolk auf typisch deutsche eisen- und uranharte Weise sämtlichen von den Russen an die Deutschen gerichteten Reparationsforderungen Folge geleistet hatte, die DDR abzutreten an den Westen mit der billigen Forderung, dass ein militärisch neutrales Großdeutschland zu entstehen habe. Die so genannte Stalin-Note stieß jedoch auf taube Ohren im neuen westlichen Nachbar-Kirchenstaat „prä- und postfaschistischer Anmutung“ (Gerhard Zwerenz). Die im Westen in Amt und Würden verbliebenen Generäle und akademischen Triebtäter waren längst aus ihren tausendjährigen Träumen erwacht und eifrig und diszipliniert mit ordentlichen Wiederbewaffnungs-, Aufrüstungs- und Bundeswehrgründungsplänen beschäftigt.

Väterchen Stalin brach darauf das Herz
Ein Jährchen später – just am 5. März


Die SED hingegen jubelte; sie durfte endlich ihre Wiedervereinigungspläne aufgeben. Einzig Wolfgang Harich wird bis 1956 nicht begriffen haben, woher der neue Wind wehte. Er glaubte, den Westdeutschen ein wiedervereinigtes großsozialistisches Deutschland schmackhaft machen zu dürfen. Er stellte ihnen in Aussicht, den siegreichen Russen einen großen Teil der ihnen zugestandenen ehemaligen deutschen Gebiete abluchsen zu können. Der russische Bär war not very amused: Harich musste hinter Gitter und durfte dort die Grenzen seines Größenwahnreiches abwandern - in Tagträumen:

Als Wolfgang Harich sprach: „Das Volk braucht Raum“,
ließ man im Knast ihn schäumen: Aus der Traum.


Wieder ins Jahr 1953: Endlich von Stalins Adleraugenblick befreit, erhöhte die Arbeiter- und Bauernregierung des Arbeiter- und Bauernstaates die eh schon hohen Arbeitsnormen derart drastisch, dass die Arbeiter auf die Straße gingen, um gegen die Normen (und für Anstand und Vernunft) zu protestieren. Dies geschah am 17. Juni 1953. Sowjetische Panzer fuhren auf, die Arbeiterregierung ließ auf die Arbeiter und viele von ihnen totschießen. Es war der erste Schritt in Richtung Abgrund, noch war es aber nicht zu spät (und immerhin hatte auch die westdeutsche Polizei bereits einen Toten auf dem Gewissen: den FDJ-ler Philipp Müller).

Der Westen sah sich bestätigt und hatte wenigstens einen guten Grund, seine Bundeswehr zu gründen im Mai 1955. Die DDR zog ein gutes halbes Jahr später, am 1. März 1956, mit der Gründung der Nationalen Volksarmee nach. Deren einziger guter Gründungsgrund war, das militärische Gleichgewicht, wie man damals sagte, schnell wiederhergestellt zu haben. Im selben Jahr brodelte es wieder heftig, vor allem im befreundeten Ungarn. Auch hier ließ die Rote Armee nichts anbrennen, und wer Zweifel an deren Vorgehen zeigte, hatte durchaus mit Unannehmlichkeiten zu rechnen.

Wirtschaftlich ging es auch nicht so richtig voran im kleineren und jüngeren Deutschland. Die Reparationsleistungen lasteten auf den Schultern der Bevölkerung und auch die Tatsache, dass sich die Sowjetunion dagegen entschieden hatte, die Menschen in ihrer Besatzungszone an den Annehmlichkeiten des Marshall-Plans teilhaben zu lassen. Viele Menschen waren sauer und gingen in den Westen, wenige andere jedoch kamen gerade in dieser Zeit in die DDR – nicht nur die Kasners aus Hamburg.

Ein paar Jahre schaute die Regierung dem Spektakel zu, dann wurde ihr von diesem durchaus einseitigen Hin und Her furchtbar schwindlig, und sie entschied sich weise, eine ganz neue Art von Protektionismus in die Tat umzusetzen, welcher dem wirtschaftlich potenteren Nachbarn von nun an nicht nur die vielen billigen, willigen und exzellent ausgebildeten „Gastarbeiter“ vorenthalten sollte, sondern auch – und das war unerhört neu – diese einzumauern trachtete in volkseigenem Beton und Draht. Das geschah im August 1961. Derart geschützt vor sich selbst, vor dem ausbeutenden Feind und vor der Gefahr, das Heimatland ins patriotische Herz schließen zu können, schwärmte manch einer vom „schönsten Erdenwunder“, wenn er an der Mauer entlangspazierte und ihm die Kugeln um die Waden pfiffen wie sonst nur in den Romanen von Ernst Jünger.

Die Künstler des Landes lasen vor lauter Freude Kartoffeln (Bitterfelder „Holz“-Weg), die Arbeiter schmiedeten Werkstattverse (Werner Voigt), die Wissenschaftler schwelgten in kybernetischen Höhen (Georg Klaus), und die Sportler errangen einen Sieg nach dem anderen für den Sozialismus (Christin Otto). Alles ging seinen sozialistischen Gang (Wolf Biermann), doch als der sächsische König (Walter Ulbricht) auch noch die Wirtschaft des Landes auf Vordermann bringen wollte (NÖS), wurde er ganz böse angeschaut von seinen sowjetischen Brüdern und Schwestern. Der Putsch gegen ihn ließ nicht lange auf sich warten: im Mai 1971 war es so weit und die nächste Chance, den Untergang abzuwenden, vertan.

Es wurde ein neuer König gekrönt (Erich Honecker aus dem Saarland), der erklärte erst die ganzen neumodischen Gespinste seines Vorgängers für Schnickschnack und läutete dann die Epoche der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik ein. Diese Zeit des ersten von einer Regierung angeordneten Bummelstreiks in der langen Geschichte der Menschheit lässt sich in zwei Zeilen fassen:

Die DDR – sie war ein kleines Land
In dem es still war und die Zeit still stand.


Diese Zeit gipfelte in dem Glauben an die Möglichkeit, sich den Sozialismus durch den Kapitalismus finanzieren lassen zu können (Milliardenkredit der BRD an die DDR).

Im Herbst 1989 kam dann mit den ersten Stürmen eine große Unruhe auf, die Bürger waren endlich missmutig genug ob des staatlich verordneten Müßiggangs und der romantischen Einfalt ihrer Staatsführung – im Gegensatz zu dieser wollten sie der DDR eine wirkliche Chance zum Überleben geben; großzügigerweise sogar zwei: Sie sagten: Reformier dich, olle DDR, dann haben wir dich wieder lieb; oder schlage, falls dir das nicht gelingen will, wenigstens den chinesischen Weg ein. Die DDR aber war schon zu schwerhörig (oder auf Empfehlung des großen sozialistischen Bruders angehalten worden, wegzuhören). Sie entschied sich für den dritten Weg, den leichtesten: Statt etwas souveräner in der Zweiten Liga zu spielen, hockte sie sich auf die Ersatzbank des selbst ernannten Exportweltmeisters – ohne Chance natürlich, jemals eingewechselt zu werden. 1990 war es dann vorbei mit ihr und auch mit dem aufrechten Gang, den ein großer Teil der DDR-Bürger im Herbst 1989 probiert hatte. Schnell wurde klar, dass es im bald wiedervereinigten Land darauf ankommen sollte, flexibel (biegsam) zu sein.

Hinterher fragten sich alle, die noch die Muße hatte, sich etwas zu fragen, wie es so weit habe kommen können; warum die Bürger, nachdem sie sich nach vierzig Jahren im Herbst 1989 ihr Land gegen jede Wahrscheinlichkeit endlich erkämpft hatten, es im März 1990 kampflos (und scheinbar kopflos) wieder aufgaben, ob es nicht anders hätte kommen können und was sich daraus lernen lasse. Auf der Hand lag, dass die zwangsvereinigte Linke, die sich SED nannte, einem sozialistischen Staat vorstand, der zur bloßen Diktatur missraten war. Irgendwann musste das selbst den Betonköpfen im Staatsapparat klargeworden sein, darum nannten sie das, was war, real existierender Sozialismus. Real war aber nicht der Sozialismus, sondern sein Misslingen (Gerhard Zwerenz). Und dieses hatte weniger ökonomische als politische Gründe (dass die DDR an ihrem Ende auch wirtschaftlich am Ende war, stimmt zwar, hatte seine Ursache jedoch weniger in der misslichen zentralen Planwirtschaft, sondern in der Entscheidung der am 18. März 1990 frei und geheim gewählten konservativen Regierung, die von Horst Köhler und Thilo Sarrazin empfohlene durchaus überhastete und jeglicher ökonomischen Vernunft Hohn sprechende Währungsumstellung mitzutragen). Schwerer wog, dass die zweite der beiden Voraussetzungen für die freie Entfaltung der kostbarsten Unterschiede der Menschen nicht gegeben war: Die DDR-Bürger waren wohl ökonomisch autonom (und auch dies nur auf vergleichsweise niedrigem Niveau), jedoch nicht politisch.

Die tagtägliche massenmediale Erwähnung des zuletzt genannten Missstands wird heute gern mit der rhetorischen Frage kombiniert, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei. Die klügeren der Fragesteller wissen, dass der Begriff „Unrechtsstaat“ Blödsinn ist. Was sie mit ihren Fragen sagen wollen, ist, dass die DDR kein Rechtsstaat war – abgesehen davon, dass die Bürger der DDR eine durchaus vollkommene Scheidungs- und Abtreibungsrechtssicherheit genießen durften. Die DDR war ein angefangener und abgebrochener Linksstaat, sie war zudem ein Land, welches es zeitlebens nie verstand, sich einen zungengerechten Namen zu geben. „Wie soll da Vaterlandsliebe entstehen?“, fragte der Dichter Peter Hacks.

Immer wieder werden DDR und Drittes Reich von Richtigdenkern als die beiden Diktaturen auf deutschem Boden empfohlen. Die Gleichsetzung wird gern mit einem Blick in und auf die Zahlen begründet: Die DDR produzierte im Laufe ihres vierzig Jahre währenden Bestehens ungefähr 1.000 politische Tote, die Naziherrschaft in zwölf Jahren 55 Millionen (die Weimarer Republik – dies als Vergleich – schaffte es in ihren wenigen Jahren immerhin auf 10.000; die Bundesrepublik ist gerade dabei, kräftig aufzuholen (Jugoslawien, Afghanistan)). Was weniger oft gesagt wird, weil es selbstverständlich ist, ist, dass die DDR für die deutschen Kommunisten das war, was Israel noch immer für die Juden der Welt ist: ein Fluchtpunkt.

Einig sind sich aber alle darin, dass der Sozialismus im Osten eine gute war Sache – zumindest für die Mehrzahl der Menschen im Westen.

*

Andere über die DDR:
„In der einen DDR haben wir gelebt, die andere haben wir in der Zeitung gelesen, und von der dritten haben wir geträumt.“ (Klaus Renft, 1997)

„Die DDR war, wenn man eine Formel sucht, unglückliche Gleichheit.“ (Klaus Wolfram)

„Selbst wenn man ihnen (den grobschlächtigen und geistlosen Herren an der Spitze des Staates) zugesteht, dass sie keinen Krieg wollten, war doch das gesellschaftliche Klima dank diverser Sicherheitsorgane verdorben.“ (Friedrich Schorlemmer, 2009)

Binsenweisheit des Tages II

Es dürfte die Mehrheit der Menschen sein, die weniger durch Einfalls- als durch Einfaltsreichtum auf sich aufmerksam macht.

Juli Zeh

Statt, wie es sich für eine der aufgewecktesten Schriftstellerinnen ihres Landes gehörte, ihr Publikum mit scharfsinnigen Geschichten zu verwöhnen, scheint sie nur drauf aus zu sein, zu beweisen, wie blitzgescheit sie ist. So wat nervt natürlich.

Jonathan Meese

Jonathan Meese ist ein Provokateur allererster Güte. Die Dummen provoziert er zu Poltereien gegen den Weltgeist, die Klugen provoziert er zum Nachdenken. Er entlarvt die Tölpel und schärft die Sinne der Gescheiten. Mit anderen Worten: Jeder sowohl anständige wie vernünftige Mensch dürfte dankbar dafür sein, dass es Romantiker wie Meese gibt.

Binsenweisheit des Tages I

Man erkennt einen Idioten am verlässlichsten daran, dass er keine Gelegenheit auslässt, zu versuchen, Goethe madig zu machen.

Mittwoch, 14. Juli 2010

Teamwork

Alle arbeiten miteinander gegeneinander.

Der eindimensionale Mensch

Es ist nicht lange her, da las ich ein Büchlein aus, das mir ein ebenso anständiger wie vernünftiger Freund bei seinem letzten Besuch überlassen hatte. Es heißt Der eindimensionale Mensch, ist von Herbert Marcuse, jeder kennt es, und ich kann mich kurz fassen: Was Marcuse bekanntlich empfahl, war, sich dem Weltenwalten zu verweigern, und er schrieb Sätze, die, was nicht schwer war, verständlicher waren als selbst die gelungensten derjenigen Äußerungen, die seine durchaus noch berühmteren Kollegen Theodor Wiesengrund Adorno und Max Horkheimer zeitlebens und zusammen aufs Papier gebracht haben. Daraus, dass einer klarer schreibt als ein anderer, folgt, dass er auch klarer denkt (die Ausnahme von der Regel ist Hegel).

Woran also lag es, dass mich auch dieses Lektüreerlebnis am Ende ein wenig frustrierte; was ist der Grund, dass auch Marcuse als Vertreter der Kritischen Theorie und der sogenannten Frankfurter Schule so wenig Licht ins Dunkel der Negativen Dialektik der Aufklärung brachte?

Ich neige zu folgender These. Was die Kritische Theorie zu hundert Prozent bezweckt, ist, die Leute auf der einen Seite zu hundert Prozent Bewusstsein zu bringen und auf der anderen zu hundert Prozent Nichtstun zu überreden. Die bekanntesten Köpfe oben genannter Schule entpuppen sich am Ende stets als das, was sie sind: als Ideologen des Kapitalismus im Schafspelz des Kommunismus, deren „objektive Wirkung zur Herbeiführung eines Vereins freier Menschen gleich Null“, deren „Potential zur Unterminierung des realen Sozialismus dagegen etwas größer war“ (Peter Hacks). Was zunächst verwundern mag, dürfte einleuchten, wenn man sich besinnt, dass Adorno ein ebenso gescheiter wie gescheiterter Musiker mit Hekeldeckchen auf dem Nierentischchen und Klofußumpuschelung im Badezimmer, Horkheimer CDU-Mitglied und braver Uni-Rektor, Habermas liberaler Antikommunist und Marcuse Agent des US-amerikanischen Geheimdienstes war.

Hacks kann man übrigens auch entnehmen – konkret einem schönen roten Büchlein, das mir besagter Freund einst zum kurzen Abschied schenkte –, dass Marcuse als Dank für die freundliche Aufnahme, die ihm und seinen Soziologenkollegen während des letzten großen Krieges in New York gewährt worden war, der CIA ein schönes Geschenk machte: er erfand die Neue Linke.

Freitag, 9. Juli 2010

Flüchtlingsschicksal

Um in Zentralafrika nicht zu verdursten, nimmt er in Kauf, im Mittelmeer zu ersaufen.

Donnerstag, 17. Juni 2010

Schäfchen zählen

Die halbe Nacht kein Äuglein zugemacht und stattdessen, wie Mama empfahl, Schäfchen gezählt. Das Ergebnis: Eine Milliarde Schäfchen fahren Auto und eine Milliarde Schäfchen schieben Knast.

Dienstag, 15. Juni 2010

Binsenweisheit des Tages

Das Ende der Angst wird der Beginn der Geschichte der Menschheit sein.

Rattenschwanz Oder: Über Rudolf Steiner (vor allen Anderen).

Es waren nicht selten Ratten, die sich an Goethes Schwanz klammerten.

Patriotismus

Die schwarzen, vierrädrigen Geschosse – der Volksmund nennt sie BMWs – sind beflaggt, als hätten wir den Krieg in Afghanistan schon gewonnen.