Freitag, 11. März 2011

Kapitel 2

MITTWOCH, 2. FEBRUAR

Jedem das Seine (Platon) oder Wie auch immer (Semprun).
Der Buchenwald ist leicht verschneit und eisigkalt. Es ist kurz nach halb zwölf, die Sonne verschwindet hinter trüben Wolken. Wir lauschen den Worten unserer Führerin.
Sie spricht von den Bluthunden der SS, die nicht wenige der am Bahnhof Buchenwald ankommenden Häftlinge, die den Karachoweg im Laufschritt entlangzulaufen hatten, „in Stücke rissen“, so dass alle Ankömmlinge, die diese Szenen mitzuerleben hatten, wussten, was ihnen bevorstehen werde; sie spricht von der Blutstraße, die Hunderte Häftlinge das Leben kostete, nicht nur denjenigen, die sie, meist mit bloßer Hand, zu erbauen, sondern auch denjenigen, die sie tagein-tagaus zu benutzen hatten auf dem Weg zur Arbeit im Steinbruch oder im Rüstungswerk (und auf dem Weg von dort zurück ins Lager, immer ein Lied auf den Lippen habend, so war es Vorschrift); sie erzählt von der Ausbildungsstätte der SS-Totenkopfeinheiten, geformt von jungen Männern, die einen mindestens hundertjährigen arischen Stammbaum nachweisen konnten, wenigstens 1,72 m groß waren (1,80 m, schreibt Kogon) und vorzugsweise aus verarmten, asozialen Verhältnissen stammten (hier treffen sich beide wieder, unsere Führerin und der ehemalige Häftling); sie spricht von den Foltermethoden im Bunker, der sich links des Lagertores befand und in welchem nicht nur Paul Schneider „ums Leben kam“; sie erklärt uns, dass, wenn die Weimarer es gewollt hätten, sie alles hätten wissen können über die Lebensbedingungen im Lager (und also auch alles wussten); sie erwähnt die farbigen Dreiecke, die alle Häftlinge auf ihre Hemden zu nähen hatten und durch die sie, für alle, nicht nur für die Aufseher, sondern auch für die Mithäftlinge, jederzeit sichtbar kategorisierbar wurden, was eine zwangsläufige Hierarchie unter den Häftlingen nach sich zog, eine Hierarchie, von der auch Semprun schrieb und an deren Spitze die deutschen Kommunisten standen, während am anderen Ende die Kriminellen, Homosexuellen und Juden auf noch viel wackligeren Füßen standen; sie sagt, dass das Lager zwischen 1945 und 1950 von den sowjetischen Besatzern weitergeführt wurde, so, wie es unter den Siegermächten vertraglich vereinbart worden war (auch die Amerikaner, Briten und Franzosen unterhielten Lager), sie verschweigt aber auch nicht, dass sich unter den Gefangenen, die zum großen Teil aus Nazi-Kriegsverbrechern bestanden, auch politische Gefangene befanden (ca. 20 Prozent).
Auf dem zwei Hektar großen Appellplatz, der sich zwischen dem Lagertor mit der Inschrift, die nicht nur Goethe, sagt Semprun, bei seinen regelmäßigen Spaziergängen mit Eckermann ins Philosophieren gerieten ließ, und der Goethe-Eiche, welche beim Angriff US-amerikanischer Bomber auf die neben dem Lager gelegenen Gustloff-Werke im August 1944 zerstört wurde, sich zu erstrecken begann, erfahren wir vom Schicksal der letzten Häftlinge in den letzten Tagen des KZs. Diese wurden, die Kapazität des Lagers war restlos erschöpft, in fensterlosen, mobilen Pferdeställen „untergebracht“, welche sich hangabwärts nördlich der Baracken befanden, an der Stelle etwa, wo die Häftlinge bei klarem Wetter einem vorzüglichen Ausblick über das Thüringer Becken bis hin zum Harz ausgesetzt waren. In den für 60 Pferde bemessenen Ställen waren zwischen 1600 und 2000 Häftlinge eingepfercht, vieretagig übereinanderliegend. Die kräftigsten Häftlinge lagen oben (dort befanden sich Lüftungsschlitze) und die sich bereits im Sterben befindlichen ganz unten. Weil es nicht genug Liegeplätze gab, ein Liegeplatz aber überlebenswichtig war, verließen diejenigen Häftlinge, die einen solchen erkämpft hatten, diesen nicht einmal zur Verrichtung der Notdurft.
Plötzlich wird der Wind stärker, und mir ist so kalt, dass ich mir wünsche, mich etwas aufwärmen zu können an den Öfen der berühmten Firma Topf & Söhne im Krematorium. Das wünsche ich mir wirklich, und mir wird klar, wie schnell es geht, schon unter leicht widrigen Umständen zu perversen Gedanken verführt zu werden. (Aber was heißt hier Verführung: ich denke diesen Gedanken und niemand hat mich zu diesem „verführt“). Vielleicht ist es zum Wenigsten das (dass die Umstände das Denken beeinflussen), was man hier, an diesem Ort, lernen soll? Dann denke ich, schlotternd und abermals beschämt über diesen nächsten Gedanken, dass die nationalsozialistische Herrenmenschenideologie durchaus ein Spiegelbild der Idee der Juden war, ein auserwähltes Volk zu sein. Das ist natürlich ein höchst ekelhafter Gedanke, aber auch Jorge Semprun war durchaus ungerecht, als er in seinem Roman schrieb, die KZs der Nazis seien Zerrspiegelbilder der stalinistischen Gulags gewesen (ebd., S. 412). Auserwähltheitsphantasien führen, denke ich weiter, ganz egal, ob sie erfolgreich umgesetzt werden oder hoffentlich verpuffen, in den Untergang, was man nicht zuletzt am Schicksal der sich einst ebenso auserwählt wähnenden Proletarierklasse sehen kann. Und ich erinnere mich an jenes (fiktive) Gespräch zwischen Goethe und Eckermann vor dem Lagertor, von dem Semprun erzählt und in welchem Goethe zu der weisen Ansicht gelangte, dass die Epoche des Internationalismus, auch beinahe hundert Jahre nach dem Kommunistischen Manifest, noch immer nicht gekommen sei. Was ihm, Goethe, lange vor vielen anderen, klar gewesen sei, war, dass jemand, der wie Stalin glaubte, es könne einen Sozialismus in einem Land geben, sich nicht nur von der Idee des Kommunismus verabschiedet, sondern einer wie auch immer gearteten Form eines Nationalsozialismus das Wort spricht.
Ich will unsere Führerin fragen, wer denn nun, was die Angst der Juden vor den Russen betraf, Recht gehabt habe, Jorge Semprun, der in der eindringlichsten Szene seines Buchs von den Juden aus Tschenstochau berichtet, welche, nachdem sie von ihren SS-deutschen Aufpassern endlich allein und in Ruhe gelassen wurden im Lager, diesen hinterherliefen und sich freiwillig (als hätten sie, falls es so etwas überhaupt gibt, nach all der Qual noch einen freien Willen haben können) nach Buchenwald deportieren ließen, weil sie sich sicher waren, dass die Russen, die vor den Toren des Lagers standen, sie noch mehr hassten als es die Deutschen taten (S. 280 ff.), oder ob es nicht doch Jurek Becker war, welcher in seinem Roman Jakob der Lügner die Bewohner eines polnischen Judenghettos auf die Ankunft der Roten Armee hoffen lässt. Und ich will sie fragen, ob es stimmt, dass aus den Lautsprechern, die auf den Wachtürmen installiert waren, immer und immer wieder Musik von Zarah Leander erklang (als ob dies eine richtige und keine falsche Frage wäre), aber ich bekomme den Mund nicht auf wegen der Kälte, und kurz darauf, in dem kantinenartigen Museumscafé, bei einer halbvollen Tasse überteuerten Automatenmilchkaffees, frage ich T., ob die Verbrechen der Katholischen Kirche nicht zehn mal grausamer waren als diejenigen Hitlers und Stalins zusammen (oder fragte ich ihn erst, als wir wieder zu Hause waren und vor dem lodernden Kamin saßen). Und jetzt, wo ich dies notiere, erinnere ich mich an den Satz eines bekannten Hamburger Sozialdemokraten (von Dohnanyi), den dieser vor ein paar Wochen in einer Talkshow des öffentlich-rechtlichen Fernsehens vom Stapel ließ (wie man in Hamburg so sagt). Er meinte (sinngemäß), es sei schon recht gewesen, die Luxemburg zu erledigen, so sei Deutschland eine Frau Stalina erspart geblieben.
Zuvor erleben wir, kurz vor dem Ende der Führung, in der nachgestellten Genickschussanlage einen kleinen Disput zwischen der Führerin unserer Gruppe und dem Führer einer Schulklassengruppe. Die beiden scheinen sich nicht abgesprochen zu haben, was die Führungszeiten angeht, oder einer von beiden hat sich nicht an die Abmachung gehalten. Dabei hätten die beiden viel eher Grund gehabt, darüber zu streiten, woran es liegt, dass eine Mordanlage, die zur Tötung ausschließlich sowjetischer Kriegsgefangener ab einem bestimmten Dienstgrad diente, in jedem Detail ihrer Grausamkeit vorgestellt werden kann, die Mordanlage jedoch, die das Konzentrationslager für eine Mehrzahl der Insassen darstellte, seltsam nichtmateriell bleibt. Hätte man nicht wenigstens den Galgen, der auf dem Appellplatz stand, stehen lassen können?
Es gab, berichtet Semprun in seinem Roman, auch Russen im Lager, Kriegsgefangene, die aufgrund ihres geringeren Dienstgrades nicht sofort hingerichtet wurden. Diese Russen, schreibt Semprun, waren es, die, was kaum einer verstand und weswegen mancher glaubte, sie seien verrückt, beim ersten zarten Frühlingshauch zu verduften versuchten. Das hätten sie, schreibt Semprun, auf Solschenyzin und Schalamow verweisend, nicht nur in Buchenwald versucht, sondern überall wo man sie gefangen hielt. Und dies, obwohl (oder gerade weil?) sie sich der Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens bewusst waren. Einmal sei es passiert, dass ein junger Russe mit lautem Indianergeheul auf den Lippen (als ob er sicher gehen wollte, auch wirklich entdeckt und ordnungsgemäß abgeknallt zu werden) in Richtung des Buchenwalder Stacheldrahtzaunes rannte.

Mein Besuch der Gedenkstätte endet in der Nacht auf dem Fernsehkanal des Mitteldeutschen Rundfunks. Dort wundert sich der amerikanische Entnazifizierungsmajor, er wird gespielt von Harvey Keitel, wie es bloß sein könne, dass der Superdirigent Wilhelm Furtwängler, welchen er zu verhören hatte, einerseits behaupte, ganz vielen Juden geholfen zu haben, das Land zu verlassen und sie somit vor der Deportation gerettet zu haben, andererseits aber von nichts gewusst haben wolle. Dieser Film, Der Fall Furtwängler, ist im Übrigen ein noch üblerer Klitterschinken als Eichingers Der Untergang mit Bruno Ganz – spätestens am Ende wird das klar, als Major Arnold einsehen muss, dass Furtwängler kein anderes Argument für seine Unschuld anzuführen gelingt, als das, zu etwas Höherem berufen, mit anderen Worten, ein Herrenmensch zu sein. Der Gipfel des Spektakels ist, dass des Majors Mitarbeiter, ein deutscher Exiljude, mittlerweile Lieutenant bei der British Army, und eine junge deutsche Sekretärin im Laufe des Films und ganz unverhohlen ins Lager der sentimental-brutalen Nazikindheitserinnerungsverklärung wechseln: vor den (sichtbaren, reellen?) Bildern von Bulldozern, die zerschundene Leiber vor sich her und in Massengräber schieben, schließen sie die Augen, nicht aber vor den (inneren, auf ewige tausend Jahre gespeicherten) Bildern, die die Ehrerbietungen des Dirigenten seinem Führer gegenüber zeigen.


FREITAG, 4. FEBRUAR

Hole S. im Fürstenhaus ab. Die Lehmstedt sehr unzufrieden: andere Kinder würden viel schneller lernen, bis Dienstag sei dies und das zu können, sonst werde sie das Alles-andere-als-ein-Wunderkind nicht mehr unterrichten. S. am Boden zerstört, weint, als wir das Zimmer verlassen. Gehe mit ihr, wie versprochen, in den Spielzeugladen in der Schützengasse und kaufe ihr zwei Haflinger-Schleich-Pferde (jetzt hat sie also ihre zwei Pferde, und es sind Pferde und nicht nur Ponys!).


SONNABEND, 5. FEBRUAR

Im Radio erst eine enervierende Sing-Sang-Inge-Keller in Hacksens Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe und dann eine dreistündige lange Nacht über den zeitlebens krachschlagenden „Theatermacher“ Thomas Bernhard.

Frage des Tages.
Die Vielfalt des Westens, sein Begehr, für jedermanns Abwechslung zu sorgen, dies lässt mich heute fragen, ob auch derjenige Abwechslung braucht, der liebt? Oder anders gefragt: Untergräbt der Westen die Möglichkeit zu lieben?


SONNTAG, 6. FEBRUAR

Unwort des Tages.
Schuldkult (Bezeichnung für das Bedürfnis der Deutschen, die Stätten der Verbrechen ihrer Vorfahren aufzusuchen).

Worte an einen Krummdenkenden.
Die Begründung, den Besuch der Gedenkstätte Buchenwald abzulehnen, da man ganz gut ohne diesen Schuldkult (siehe oben) leben könne, kann im Grunde, denkt man genau so krumm, ganz leicht entkräftet werden. Denn was man dort, auf dem Gelände der Gedenkstätte Buchenwald, geboten bekommt, ist deutsche Ingenieurskunst auf der Höhe der Zeit, auf der Höhe aller Zeiten, also das ganze Gegenteil von Kult, nämlich Kultur, und zwar, im Gegensatz zur klassischen deutschen Goethe-Schiller-Herder-Wieland-Kultur, klassische deutsche Industriekultur. Nirgendwo auf der Welt gab es robustere, sicherere und leistungsfähigere Verbrennungsöfen als im Konzentrationslager Buchenwald (und im von der Deutschen Bank finanzierten Konzentrationslager Auschwitz).
Zehnfaches, im Vergleich zu den Öfen, die in Treblinka zum Einsatz kamen, leisteten die Mehrkammermuffelöfen, die, einem „Wunderwerk“ gleich, von den Ingenieuren der Erfurter Ofenbaufirma Topf & Söhne in die Welt oberhalb Weimars und östlich der erst später zu einiger Berühmtheit kommen sollenden Oder-Neisse-Grenze gesetzt wurden. Nicht nur die auf Schienen geführte Leicheneinschiebekonstruktion hatte man sorgfältig optimiert: Obwohl kein Sarg in die Öfen gepasst hätte (dazu wäre die Ofenöffnung zu klein gewesen), konnten bis zu drei Leichen gleichzeitig eingeschoben werden. Von dem zu erwartenden Verbrennungsgewicht der Häftlinge, welches, wie den Ingenieuren nicht unverborgen geblieben sein dürfte, zwischen 25 und 41 Kilogramm betrug, hatten sie auf den für den Bau der Öfen und ihrer Öffnungen wichtigen Körperumfang geschlossen. Oberingenieur Kurt Prüfer und seine Untergebenen hatten sich naturgemäß nicht verrechnet. Seinen Stolz nicht verbergen wollend und könnend, meldete der unter Prüfer arbeitende Ingenieur Fritz Sander 1942 ein Patent an für einen „kontinuierlich arbeitenden Leichen-Verbrennungsofen für Massenbetrieb.“
Was ich eigentlich sagen will, ist, dass der Begriff Schuldkult von vorn bis hinten falsch ist; weder die erste noch die zweite Silbe stimmen. Im Übrigen scheint mir das Wort nicht mehr als ein rhetorischer Kniff zu sein, der lediglich bezwecken soll, die Zuverlässigkeit von Reflexen (meiner Reflexe) zu testen.

Lese mal wieder ein paar Seiten in Henscheids Literaturkritik-Brocken von Zweitausendeins, und es ist ja wirklich so, dass mindestens neunzig Prozent dessen, was da zu lesen ist, uninteressant genug war, um es noch einmal zu veröffentlichen. Ein wuchernder Metastasenherd.

Auf CD die Lange Nacht über Thomas Bernhard: Der ganze Bernhard ein übertreibend-wiederholdend-komisches Plädoyer gegen nationalsozialistische Katholiken, katholische Nationalsozialisten und auch, wie könnte es anders sein, gegen sozialdemokratische Nationalsozialisten und nationalsozialistische Sozialdemokraten. Die nach wie vor naturgemäß unbeantwortete Frage: wofür plädierte Bernhard?


MONTAG, 7. FEBRUAR

Die FAZ, heute, nach meiner kleinen Email, im richtigen Briefkasten, ehrt Ulrich Peltzer, der sich nicht wehren kann, als Adoranten von Foucault und Deleuze.

Frage des Tages.
Wie kann ein Kritiker mein Feind sein? (vgl. Peter Hacks, Das Arboretum)


DIENSTAG, 8. FEBRUAR

Binsenweisheit des Tages I.
Krieg ist der Terror der Reichen.

Empört euch!
Kaufe und lese Stéphane Hessels Empört euch! (übersetzt von Michael (?) Kogon, dem Sohn von Eugen Kogon). Der Autor, dessen schmales Büchlein, welches man in zwanzig Minuten gelesen hat, in Frankreich für Furore sorgt, war, wie Jorge Semprun, in dessen Buch Was für ein schöner Sonntag Hessel auch namentlich Erwähnung fand, Häftling im Konzentrationslager Buchenwald. Hessel entwickelte sich jedoch nicht, wie Semprun, zu einem Anti-Hegelianer, sondern hält es auch heute noch mit dem großen deutschen Philosophen. (Zur Erinnerung: Semprun nahm Hegel, dem er die Wiederbelebung der „Teufelsmethode Dialektik“ vorwarf, in seinem Buch auch dafür in Haftung, die Grundlage des totalitären SS-Staates geliefert zu haben, was am deutlichsten beim allmorgendlichen und allabendlichen Appell zum Ausdruck gekommen sei, wenn der SS-Appellmann „Das Ganze stillgestanden!“ schrie.) Von derlei Verbiegungen ist Hessel frei, und er ist auch zu loben dafür, dass er Sartre auf den Stand der Zeit bringt, indem er dessen Terrorismusapologie eine Gewaltlosigkeitsillusion entgegensetzt. Gegen die Lethargie, gegen den Irrglauben, die zur Zeit durchaus bedrohte Demokratie nicht mit allen Mitteln verteidigen zu müssen, schrieb Hessel sein aufrüttelndes Pamphlet.

Binsenweisheit des Tages II.
Terror ist eine Erscheinungsform von Verzweiflung.

Benedikt XVI.
1940, im besetzten Polen, hetzen Hitlerjungen einen jungen Polen durch die Straßen. Als sie seiner endlich habhaft geworden sind, schlagen und treten sie ihn. Plötzlich bittet der junge Mann seine Peiniger, in gebrochenem Deutsch, von ihm abzulassen: „So hört doch auf, ich werde bald Papst sein.“ Worauf ihm derjenige der Hitlerjungen, der am heftigsten zugelangt hat, mit bayerischem Akzent entgegnet: „Und ich werde dein Nachfolger sein.“ (erzählt von Wiglaf Droste)


MITTWOCH, 9. FEBRUAR

Eugen Kogon: Der SS-Staat.
Den Verdienst der von den Amerikanern in Auftrag gegebenen Auftragsarbeit nicht in Abrede stellen wollend: Aber wenn ich lesen muss, wie weit der Scheißnazieinfluss sich niederschlägt in den Worten eines ganz bestimmt standhaft-integren Menschen, dann komme auch ich nicht weiter als bis zur Hälfte dieser akribischen Studie. Das Gemeine ist, dass man Kogon im Grunde nichts vorwerfen kann; vorwerfen jedoch muss man all den Leuten, die diesen ganzen KZ-Wahnsinn nicht miterleben mussten, dass sie viele Jahre später meinten, dieses Buch als das empfehlen zu dürfen, was es nicht ist, weil es es nicht sein konnte. Es sei denn, man meinte, sie wollten, so indirekt, wie nur möglich, hinweisen auf die Perfidität der Naziherrschaft. Allein, mir fehlt, empfehlt die ZEIT-Gräfin Dönhoff dieses Buch, der Glaube. Was ich sagen will: Zum einen unterliegt der Autor der gemeinen Verlockung, der (von der SS eingeführten?) dreieckig-farbigen Stigmatisierung der Häftlinge folgen zu dürfen, zum anderen ist er nicht davor gefeit, die unwürdige Nazisprache zu übernehmen. Nicht nur einmal finden sich Sätze, die die in vielen Konzentrationslagern von den Kommunisten geführten Häftlingsselbstverwaltungen mit den Worten verteidigen, so seien sehr viele „wertvolle Menschen“ gerettet worden, auch wenn dies auf Kosten vieler „minderwertiger Elemente“ passiert sei.


DONNERSTAG, 10. FEBRUAR

Hosni Mubarak liest was vor im Fernsehen, weswegen die Quizshow, die ich mir gerade anschaue, unterbrochen wird; nicke weg und werde wieder wach mit Heinz Erhard: Es gibt Menschen, die wollen glänzen obwohl sie keinen Schimmer haben.


FREITAG, 11. FEBRUAR

Mittags Kartoffeln und Quark. Sonnenschein draußen. Beginne, Franziska Augsteins Semprun-Biographie Von Treue und Verrat zu lesen.

Verballhorne, mit gemischtgefühligem Vergnügen, Martin-Walser-Roman- und -Novellen-Titel: Ein fliegendes Pferd; Wehen in Regensburg; Jenseits der Triebe; Landung; Hase und Wolf; Jacht; Bushs Krieg; Der zersprungene Brunnen (Ein springender Punkt); Lob eines Kritikers; Ein liegender Mann...


SONNABEND, 12. FEBRUAR

Binsenwahrheit des Tages.
Meinungen sind immer falsch; einzig Haltungen können richtig sein.


SONNTAG, 13. FEBRUAR

Lese weiter Augsteins Semprun-Biographie; im Radio schweift Wulf Kirsten immer wieder ab, kommt nicht auf den Punkt; dann 45 Minuten Stéphane Hessel auf arte: sehr eloquenter, gebildeter Philanthrop; im Abendprogramm die Großnichte Wilhelm Furtwänglers, Maria heißt sie, in einem Knoppaganda-Zweiteiler: O wie schrecklich, diese Vertriebenenschicksale. Zum Abschluss des Fernsehabends Titel Thesen Temperamente. Der Facebook-Gründer Marc Zuckerberg auf die Frage, warum ihm alle ihre Daten schenkten: Sie vertrauen mir, die Idioten.
Durchaus lausiger Tag.

Die Schweinedialektik Stalins (und seiner Jünger) oder Ernst Busse in der Zwickmühle.
Der KZ-Überlebende: ein Mitschuldiger; der in Gefangenschaft geratene Rotarmist: ein Deserteur; die gemeine Schlussfolgerung: das Gedenken gilt allein den Buchenwald-Opfern, nicht den Häftlingen, die überlebten.

Cora Stephan in der FAS: Will, folgte man ihrer kranken Argumentation, die CDU verbieten. (Das ist, so verkürzt, nicht verständlich, aber ich bringe es im Leben nicht übers Herz und übern Kopp, zusammenzufassen, was die Frau im Interview soeben verzapft hat). Glaubt mir, Genossen! Und glaubt mir auch, dass es mir lieber wäre, sie, die FAS (resp. FAZ), begnügte sich (statt sich derart zu blamieren) mit ihren drei (Säulen)heiligen: Schmitt, Heidegger und Jünger; denn wenn’s noch doller wird, tut’s einfach zu sehr weh.

Leider noch viel ärger der Ärger über HHH (Hans Heinz Holz). Der zählt, als einer der hoffentlich letzten Menschen-„Elemente“ (Kogon), Stalin, den „verdienten Mörder des Volkes“ (Brecht), welcher es ja immerhin geschafft hat, mehr Kommunisten zu erledigen als Hitler, zu der vor 150 Jahren begonnen habenden Aufklärerlinie, deren Beginn Marx und Lenin wiesen. Das ist nichts anderes als zum Kotzen und man möchte dem alten Mann seinen Beitrag am liebsten um die altersgemäß immer größer werdenden Ohren schlagen, und zwar schallend.

Was wirklich schwer zu begreifen ist, ist die Idee der revolutionären Rolle des Proletariats. Wenigstens Marx, Engels und Lenin wussten doch, dass die Existenz des Proletariats an die Existenz des Kapitalismus gebunden ist, d.h.: Ohne Kapitalismus keine Proletarier.


MONTAG, 14. FEBRUAR

Wollte man die wichtigen Begriffe retten, müsste man sagen, dass es bislang weder einen Kommunismus noch eine Sozialismus gegeben hat auf dieser Welt, die so schön sein könnte. Das spricht, glaube ich, weniger gegen Marx, Engels und Lenin, als gegen die Umstände. Sind die Umstände noch nicht reif, bekommen wir wahlweise einen Stalinismus (Sowjetunion, Ostblock), eine Baath-Diktatur (Saddam Hussein), einen langbärtigen Despoten auf einer einsamen Karibikinsel (Fidel Castro), einen Militärparadenspinner (Kim Il Sung), trottelige Anarchisten (Spanien), einen Pol-Pot (Kambodscha) oder einen Hitler (Nazi-Deutschland) vorgesetzt.
Was tun?

Ich zu V.: „Das mit dem Lesen ist so, dass ich selten ein Buch für gut genug befinde, um es von vorn bis hinten zu lesen. Ich lasse einfach die langweiligen Stellen aus. So brauche ich für ein 300-Seiten-Buch selten mehr als drei Stunden, also einen Abend. Im Vergleich: Für die richtig guten Bücher brauche ich Jahre, also für Schernikaus legende zum Beispiel, oder Hacksens Maßgaben der Kunst. Da muss man, um sich nicht um den Spaß zu betrügen, erst alles drei mal gelesen haben, bevor man bei der Viertlektüre den spitzen Bleistift ansetzen darf.“ Vs. scharfsinnige Antwort: „ich werde das vor mir liegende jahr nutzen, um tatsächlich schernikaus legende zu lesen, für das man, wie man hört, zwei jahre braucht.“

Missverständnis des Tages.
Frage: Wofür kämpfst du? Antwort: Gegen Nazis.


DIENSTAG, 15. FEBRUAR

Zu CR: „Im Grunde hast du Recht, und im Grunde beneide ich dich auch darum. Weil du nämlich weißt, dass die Liebe eine idiotische Erfindung ist, gegen die man anzugehen hat. Ich glaube, das war auch der Grund, warum ich mich in dich verliebt habe. Klingt paradox, ist aber so.“

Wiglaf Droste über die sechstgrößte Stadt Deutschlands: „Wieso eigentlich Stuttgart 21? Der VfB hat doch gerademal 19 Punkte.“ Auch Folgendes in der morgigen Zeitung gefunden: „Nach den Revolutionen in Tunesien und Ägypten wäre jetzt der Westen dran – und versagt schändlich, Guttenberg spricht vom »infektiösen Momentum«. Er hat Brecht: »Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?«“ Zweimal sehr laut gelacht.


MITTWOCH, 16. FEBRUAR

Über Macher-Menschen: pralle, kraftstrotzende Lebensenergie – aber wie für die Katz das alles!


FREITAG, 18. FEBRUAR

In Plüschgewittern.
Nach den ersten 76 Seiten: Habe Vs. Worten über diesen kleinen, hinreißenden Edelstein des Herrn Herrndorf nichts hinzuzufügen. Außer: Von wegen „Mängelexemplar“.

Anruf von M. am Abend aus schlechtem Gewissen (und aus dem gutem (Ge)wissen, kein schlechtes Gewissen haben zu müssen; komme ja, wie er besser als jeder andere weiß, als verlässlicher Reisebegleiter zur Zeit nicht in Frage).


SONNTAG, 20. FEBRUAR

Um elf S. mit dem Auto. Nichts Großartiges unternommen, aber das ist ja das Großartige, heute jedenfalls.

Hamburg-Wahl, die SPD mit absoluter Mehrheit. Höre Grass in seinen viel zu vollen Oberlippenbart brabbeln: „Da wird sie sich bestimmt freuen!“


MONTAG, 21. FEBRUAR

Weiter Herrndorf. In der Mitte des schmalen Buches eine bestürzend einleuchtende Idee Herrndorfs: Man könne, wenn man wolle, im Zentrum Berlins beginnend, eine Zeitreise an die Ostperipherie der Stadt unternehmen, also von Berlin Mitte (21. Jahrhundert) über Friedrichshain (90er Jahre), Lichtenberg (80er Jahre) nach Marzahn (70er Jahre). Würde man noch weiter östlich ziehen, was niemals zu empfehlen sei, dann käme man im Faschismus an.

Halb sieben mit Th. im C-Keller. Dort bedient der dünne junge Mann von schon mal, heute ganz in schwarz, bei dessen Anblick ich mich jedes Mal frage, woran es liegt, dass mir diese selbstbewusst betonte Dünnheit heutzutage so imponiert, während sie mir früher, als ich selbst so dünn war... Beim vierten Bier dreht Th. richtig gut auf, erzählt von einem Restaurationsausflug nach Tschechien, die Mutter seines Sohnes, damals hochschwanger, kam ihn besuchen (oder abholen?), aber er es war bereits zu spät und Th. schon schwul geworden, wenn ich das richtig verstanden habe (bin ja auch schon beim vierten Bier, oder genauer: ich bin schon fertig mit dem vierten Bier). Zuvor beklagt er sich über seinen Kollegen B., welcher am Wochenende mit Familie zu Besuch und Schweinebraten bei ihm war, und als Th. erzählt, dass die Bagage vor dem Essen betete, frage ich ihn beinahe entsetzt: die kennen wohl das hochvernünftige Prinzip der Trennung von Kirche und Küche nicht?


DIENSTAG, 22. FEBRUAR

Sitze in einem der bequemen schwarzen Sessel im Foyer der schönsten Bibliothek meiner Welt und lese in Fritz J(ott) Raddatz’ Tagebüchern (1982 – 2001). Mir schräg gegenüber sitzt der schönste Junge der Bibliothek: schwarze Anziehsachen, schwarze Tolle, leicht affektierter, grübelnde Ernsthaftigkeit vortäuschen wollender Lippenwurf (sollte man nicht besser von einem Lippenschurz sprechen?) und liest sehr konzentriert 1 ½ Stunden in einem blassgelben S.-Fischer-Taschenbuch, also bestimmt Stefan Zweig, was die naheliegendste Erklärung für seine immer finsterer werdende Miene wäre.

Klarer Kopf I.
Halbwegs klaren Kopfes: Nichts wirklich Erfahrenswertes erfahre ich in Raddatz’ eitlen Notizen (habe ja vorher auch Rühmkorfs eitles Tagebuch gelesen, welches jedoch nicht nur eitel war, sondern auch von Sprachwitz überquoll). Immerhin erfahre ich, dass er schwul ist, der Raddatz. Das wusst’ ich bislang noch nicht. Abgesehen davon auf den knapp tausend Seiten das ganze Elend der intellektuellen Schreiber-„Elite“ der Bundesrepublik (wenn es einem um die Kunst geht, MUSS man zum Gegner der (parlamentarischen) Mehrheits- also Durchschnittlichkeitsdemokratie werden!) und des Alterns als Schwuler in selbstverliebt-melancholischen Worten (dass das Ganze so weitergehen wird, wie es auf den ersten hundert Seiten begann, ist durchaus keine sehr kühne These). Am lehrreichsten für mich sind die pornographischen Passagen. Am unterhaltsamsten ist die Amsterdam-Anekdote. Eines Abends habe ihn in einer dortigen Schwulenbar ein Russe angebaggert, er glaubte nicht, dass es sich um einen Russen gehandelt habe, wie auch immer, die beiden landeten in dessen aristokratischer Hotelsuite, Raddatz ergötzte sich an der Makellosigkeit seines Körpers; ihm schwante immer noch nichts. Am nächsten Abend saß er im Theater und sah den Russen tanzen: es war NUREJEW. Der Unterschied zu den Aufzeichnungen Rühmkorfs (neben dem entscheidenden Unterschied, dass Rühmkorf vergleichsweise witzig-leicht, während Raddatz eher selbstgerecht-seicht daherkommt): Was Rühmkorf Garnelenschwänze und Muschis, sind Raddatz Austern und Riesenpimmel.
Im Grunde ist Raddatz ein armer, reicher Dekadent, ein Hedonist ohne Haltung, einer zudem, der von seinem Schmarotzertum nichts weiß (oder nichts wissen will). Wenn er denn doch mal so alle hundert Seiten (also alle zwei Jahre) ins reflektierende Nachdenken kommt, so schreibt er, er habe gelesen, dass 97 Prozent der Menschen kein selbstbestimmtes Leben führen könnten (oder mal konkreter, dass irgendein Manager 350 Millionen Dollar im Jahr kassiere, während eine Milliarde Menschen mit weniger als EINEM täglichen Dollar auskommen müssten) und dass viele Schriftsteller zu arm seien, zu ihren eigenen Lesungen zu fahren, und jeden dieser Gedanken beendet er mit einem: Aber ich habe mir das alles (drei Häuser, einen Jaguar (vorher einen Porsche), die Meissener Porzellanvasen und die zigtausend Liter Champagner) doch hart erarbeitet. Auf deutsch: Der Literaturkritiker Raddatz, dessen Reichtum ohne die vorherige Arbeit der Literaten nicht vorstellbar wäre, lobt seine Wirtsleute als faule Schweine. Und so was gilt in diesem Land als „links“: sehr witzig im Grunde.

Klarer Kopf II.
Was bei der „Doktor“-zu-Guttenberg-Affäre rauskommen wird, ist, was jeder, der bei halbwegs klarem Verstand ist, schon längst wusste: dass der akademische Kram Firlefanz und Kokolores und am Ende ein womöglich gar weniger hilfreicher als vielmehr schädlicher Fimmel ist.

Klarer Kopf III.
Die Maischberger mit Gästen im Fernsehn über Guttenbergs Mogelarbeit. Mit dabei: (1) der sich immer mehr zu einem hitzköpfig-giftenden Rumpelstilzchen verzwergende Arnulf Baring (eine gar nicht so unsympathische Art zu verschwinden im Übrigen), er stolpert naturgemäß bei seinem Versuch, sowohl vorwärts als auch rückwärts zu laufen, also zu Guttenbergs als auch der Universitäten Ehre retten zu wollen; (2) der Kabarettist Werner Schneyder (schreibt man ihn so und heißt er wirklich Werner? oder Wolfgang?), er wird immer wieder unterbrochen, weil er als einziger was wirklich Kluges sagen will, nämlich dass entscheidender als die Doktortiteldebatte eine Debatte über die ganzen vielen toten Soldaten wäre; (3) Anna Prinzessin von Bayern, sie lässt sich wirklich so nennen und ist BILD-Redakteurin, glaube ich, jedenfalls ist sie Autorin einer Lobhudelbiographie über den Schummelbaron, und sie ist mal wieder überfordert aufgrund ihrer besonders blonden Blödheit; Den schönsten Satz der Sendung darf (4) mein Lieblingskotzbrocken Jutta Ditfurth sagen, die ja, bei aller Verschwörungsverrücktheit, auch ab und an mal klaren Kopfes ist: „Heute sind die Wähler der Grünen schlimmer als die Grünen.“


MITTWOCH, 23. FEBRUAR

Seit drei Tagen Eiseskälte. Minus 15 Grad in der Nacht.

Erinnere mich am Morgen an den gemeinen Emailwechsel mit dem Waldorflehrer, von dem ich vor Jahren (da war ich noch von und bei I. gefangen) bei Ebay die Victor-Klemperer-Tagebücher kaufte. Der beschwerte sich doch damals allen Ernstes über das geringe Endgebot, mit dem ich die Auktion gewann; dafür hätte sich der ganze Aufwand nicht gelohnt, und er wolle mehr Geld. Sauer war er, denke ich heute, weil es ihm verwehrt blieb, aus den Notizen eines knapp dem Tode entronnenen jüdischen Intellektuellen Profit zu schlagen. Was für ein Pack, diese Waldörfler! (Und wie krank mein Denken).

Lese weiter Raddatz; während ich lese, fällt mir auf (die Lektüre ist beileibe nicht so fesselnd, dass man nicht abschweifen und sich umschauen könnte), dass in letzter Zeit immer wieder junge Männer in schlecht riechenden Jogginghosen lauernden Auges durch die Bibliothek streunen. Als warteten sie auf den günstigen Augenblick, Beute zu machen, zuzuschlagen, sprich: Schrankschlüssel, Geldbörsen oder wenigstens die vergessenen 1-Euro-Stücken aus den Garderobenschränken zu stehlen. Noch gemeiner die zwei dicken Lehramtsanwärter in der Cafeteria vorhin (ein Männchen und ein Weibchen), welche, ihr Gemurmel auf den Punkt gebracht, davon schwärmten, „Unterschichtskinder“ in Schulen einsperren und sie dort, damit sie ihre Dummheit nicht weitervererben könnten, kastrieren lassen zu wollen. Selten große Sehnsucht nach Margot Honecker! Lust auf ein Attentat!


DONNERSTAG, 24. FEBRUAR

Der Gedanke Theodor Lessings und Marianne Gronemeyers, das Verstehenwollen als Vernichtungswillen zu deuten, ist im Übrigen genau so absurd wie er einleuchtend ist.

Binsenweisheit des Tages.
Der Zündfunke der hoffentlich bald die ganze Welt erhellenden Aufklärung erglomm (sagt man das so?) in Arabien (auch wenn dies schon einige 100 Jahre her ist).


FREITAG, 25. FEBRUAR

„Der geistreiche Mann spielte gern mit seinen Meinungen, aber niemals mit seinen Gesinnungen.“ (Goethe über Wieland)


SONNABEND, 26. FEBRUAR

Im Radio (mdr info): Ein Mann habe sich vor einem Moskauer Kaufhaus in die Luft gesprengt. Der Mann sei dabei ums Leben gekommen. Wer hätte das gedacht!


SONNTAG, 27. FEBRUAR

Richtigstellung des Tages.
Wie jeder weiß, kommt man nach dem Leben dorthin, wo man hinkommen will (wohin man kommen will?). Die meisten wollen in den Himmel (kommen), dort wird es ziemlich eng werden. Weitaus behaglicher dürfte es darum in der Hölle zugehen. Der Himmel ist die Hölle (und andersrum).

Stand heute: Das Phantom mit dem Hund hat die Chance, die ich hatte, verspielt.


MONTAG, 28. FEBRUAR

Mich, als ich aufwache, sowohl an meinen Traum als auch an einen (Traum)-Satz Eugen Kogons erinnert. Beides hätte ich notiert, wenn ich’s nicht beinahe sofort wieder vergessen hätte – auf dem kurzen Weg vom Bett ins Bad.

Fritz J. Raddatz’ Tagebücher. Mein sich immer mehr verfestigender Eindruck: die eigenen Notizen hundertmal lesenswerter, die Vs. tausendmal mehr... Hat der Mann nicht eine Sekunde geliebt in den zwanzig Jahren (zwischen seinem 50. und 70.)? Hat er nicht einen einzigen politischen (oder wenigstens philosophischen) Gedanken gehegt in jener Zeit? Und falls nein, warum hat er DAS nicht notiert???

Verderbe mir den Abend durch das Anschauen eines Fußballspiels im Fernsehn. Aue verliert, nach hochverdienter 1:0-Führung, mit 1:2 in Augsburg (und damit wohl auch alle schüchternen Aufstiegshoffnungen).

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