Montag, 29. November 2010

„Wuu-hu“ oder Gedanken aus aktuellem Anlass.

Das Unbehagen der Deutschen, die Serben betreffend, ist genau so alt wie es irrational ist. Es äußerte sich im Ersten Weltkrieg in dem Schlachtruf „Serbien muss sterbien!“ und im Zweiten Weltkrieg in dem gescheiterten Versuch, diesen Ruf in die Tat umzusetzen. Was sie zweimal vergeblich versuchten, ist den Deutschen, kurz nach dem Ende des Dritten Weltkriegs, der auch Kalter Krieg genannt wurde, endlich geglückt. Es handelte sich bei dem, was damals passierte, um nichts anderes als um eine späte Rache (eine Rache für was eigentlich?)

Sie begann, als die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1991 ohne Not das mit sezessionistischen Bestrebungen leibäugelnde Kroatien völkerrechtlich anerkannte, ein Land, das es zuvor ganze vier Jahre lang gegeben hatte, zwischen 1941 und 1945, geführt von der faschistischen Ustascha-Bewegung. Kroatien, kann man sagen, war eine Idee Adolf Hitlers. Diese Anerkennung, die nicht unmaßgeblich von den zum großen Teil der heute in Bolivien lebenden Nachfahren der Ustaschi betrieben wurde, löste den Jugoslawienkrieg aus. Das Den Haager UNO-Tribunal für Ex-Jugoslawien sucht bis heute viele dieser Nachfahren wegen Verbrechen, die sie zwischen 1992 und 2000 auf dem Balkan begangen haben.

Nachdem Slobodan Milošević eine euphemistisch „Friedensangebot“ genannte Erpressung abgelehnt hatte, welche, so Rudolf Augstein, Bedingungen gestellt habe, „die kein Serbe mit Schulbildung hätte unterschreiben können“, beteiligte sich die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1999 konsequenterweise am NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Die in Washington ansässige Werbefirma Ruder Finn war zuvor von kroatischen Nationalisten beauftragt worden, zum Einen Milošević als Diktator erscheinen zu lassen, als „serbischen Hitler“, der vorhabe, den, wie es Peter Handke naturgemäß kopf- und haupthaarschüttelnd nannte, „Gewalttraum“ eines großserbischen Reichs zu verwirklichen, und zum Anderen handfeste Kriegsgrundfakten zu präsentieren.

Wie wir seit einiger Zeit wissen, waren all diese Fakten keine Fakten, sondern Lügenmärchen. Es gab keine Konzentrationslager in Fußballstadien, es gab keine barbarischen Gewaltausbrüche, von denen Verteidigungsminister Rudolf Scharping, mit gefälschten Fotografien herumfuchtelnd, phantasierte, es gab kein neues Auschwitz, von welchem Außenminister Joseph Fischer halluzinierte, und es gab zwar einen „Hufeisenplan“, der die ethnische Säuberung des Kosovo empfahl, dieser wurde allerdings erst nach Beginn des Krieges bekannt; was bis heute nicht bekannt ist, sind sowohl Ursprung als auch Autorenschaft dieser Schrift, deren Titel, wie Noam Chomsky verrät, Potkova hieß, was tatsächlich „Hufeisen“ bedeutet, allerdings nicht auf Serbisch (dort heißt das Wort Potkovica), sondern pikanterweise auf Serbokroatisch (einer Sprache im Übrigen, der man jüngst die ersten beiden Silben nahm).

Im März 2010 wurde im Radio die Geschichte des erfolgreichsten Werbespotsongs aller Zeiten erzählt. Das Stück ist von Blur und heißt Song 2. Ein einziges Mal, hieß es, habe die britische Popband die Genehmigung zur Verwendung ihres Songs nicht erteilt: als das Pentagon seinen neuen B2-Bomber, der in jenem Krieg gegen Jugoslawien zum Einsatz kommen sollte, mit ihm, dem Song, bewerben wollte. Die Geschichte sprach sich herum, und die jungen Serben waren den jungen Briten, auch wenn diese den Abwurf der Bomben standesgemäß nicht verhindern konnten, dankbar auf ihre Weise: Immer, wenn eines der NATO-Bomben­flugzeuge am balkanischen Himmel gesichtet wurde, besangen und bejubelten sie es mit einem langgezogenen Wuu-hu, dem euphorischen Erkennungszeichen des Liedes, welches auch gern in Fußballstadien gespielt wird, wenn die Heimmannschaft ein Tor erzielt hat. (Es soll nicht verschwiegen werden, dass die jungen Serben nicht nur gern singen, sondern auch nicht ganz frei von Rachegelüsten sind. Dies bewiesen sie zuletzt im Frühsommer dieses Jahres. Die Zerstörung sowohl ihrer Heimat als auch des europäischen Traums, welche Peter Handke ein paar Zeilen weiter unten betrauern wird, vergalten sie – auf ihre Art. Die serbische Auswahl gewann bei der letzten Fußballweltmeisterschaft ihr Vorrundenspiel gegen die DFB-Auswahl mit 1:0).

Ebenfalls im März dieses Jahres erzählte der Schriftsteller Landolf Scherzer in einer Fernseh-Talkshow von seinem 500-km-Fußmarsch durch Rumänien und Ex-Jugoslawien. Eines Abends, es regnete stark, habe er bei Zigeunern übernachten wollen trotz seiner Angst, womöglich bestohlen zu werden. Der „Mann des Hauses“, welcher nach altem Brauch über den Verbleib eines Gastes zu verfügen hatte, entschied abschlägig mit der Begründung: „Ihr Deutschen habt vor zehn Jahren Bomben abgeworfen auf mein Land. Bei einem dieser Bombardements ist mein Sohn ums Leben gekommen.“ Scherzer habe darauf, schmutzig und durchnässt, aber wie befreit und um einiges klüger, auf der Straße gestanden.

Nicht wenige deutsche Intellektuelle befürworteten den Jugoslawien-Krieg. Man ließ sie (im Gegensatz zu Scherzer und womöglich, um sie am Klugwerden zu hindern) nicht im Regen stehen. Zwei von ihnen wurden besonders fürstlich prämiert für ihr Engagement: zunächst der kaschubische Schriftsteller und Scharping- und Fischer-Bewunderer Günter Grass, später die banatische Schriftstellerin Herta Müller (welche bekanntlich Literatur schreibt, von der man den Eindruck gewinnt, dass sie, die Autorin, wie auffallend viele Literaturprofessoren und Deutschlehrer auch, mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß steht, und die in ihrer Freizeit Sachen macht, die den Eindruck vermitteln, dass sie sich auch sonst gern auf ausgetrampelten Kriegspfaden bewegt: 1999 war sie Mitunterzeichnerin eines Flugblatts, das nicht nur zur Bombardierung serbischer Städte aufrief, sondern auch Bodentruppen loszuschicken empfahl). Beide Künstler durften als Dank den sehr ordentlich dotierten Nobelpreis für Literatur entgegennehmen. Der Kriegsgegner Peter Handke hingegen, welcher hellsichtig genug war, zu raunen, „indem man Jugoslawien zerstört hat, hat man das wirkliche Europa zerstört“, sah sich durch eine an Rufmord grenzende Medienkampagne gezwungen, den Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf, welcher ihm im Jahr 2006 verliehen worden war, abzulehnen.

Die kurze Geschichte des Vielvölkerstaates auf dem Balkan begann durchaus hoffnungsvoll. Dieser Staat gründete bekanntlich auf der Idee, bis dato noch nirgendwo auf der Welt realisierte Maßgaben (etwa die, Betriebe nicht zentralstaatlich, sondern durch selbstverwaltende Arbeiterräte zu organisieren und so die „freie Assoziation der Produzenten“ und das „Absterben des Staates“ zu gewährleisten) in die Tat umzusetzen. Letztendlich misslang dieser für Europa und die Welt so beispielhafte Versuch.

Heute, am 29. November 2010, jährt sich die Gründung der Bundesrepublik Jugoslawien zum 65. Mal.

Donnerstag, 4. November 2010

Himmel, Hölle und der Papst er selbst.

Die Katholische Kirche erfand, nachdem sie festgestellt hatte, dass das Versprechen des Himmels weniger wirksam war als ihr lieb sein konnte, die Hölle. Mit dieser Drohung begann das Mittelalter und kurze Zeit später, im Jahr 480, wurde der von Anfang an strenge und bald heilige Benediktus geboren. Er gründete in einer Grotte einen später nach ihm benannten Mönchsorden, pflanzte dort Dornbüsche, in welche er sich stürzte, um die Glut seines Verlangens zu kühlen, und befasste sich in der verbleibenden Zeit vornehmlich mit dem naturgemäß wichtigen Problem, wie man auf Erden möglichst glücklich leben und dennoch in den Himmel gelangen könne. Ein gutes Dutzend Säkel später, im Jahr 1928 ungefähr, erblickte der Dichter Peter Hacks das Licht der Welt. Er sollte sich zeitlebens (das zu Ändernde geändert) ganz mit demselben Problem beschäftigen. Er tat gut daran: Im Jahr 2007, Hacks und der heilige Benediktus waren schon vier (jener) und viele Jahre (dieser) tot (gesegnet seien sie beide), bekräftigte Papst Benedikt XVI: „Die Hölle gibt es. Und sie ist ewig.“